Wie Eisberge und Kokosnüsse bei der Portfoliostrategie helfen
In den meisten Firmen werden deutlich mehr Produkte eingeführt als jemals abgekündigt werden. Wir beleuchten hier die Gefahren, die davon ausgehen können und zeigen Dir, was Eisberge und Kokosnuss damit zu tun haben!
Wir leben immer länger. Laut einem UN-Bericht wird sich die Zahl der Menschen über 80 bis 2050 mehr als verdreifachen.
Auch die Anzahl der Produkte, die auf den Markt gebracht und nie abgekündigt werden steigt stetig an. Heißt das, dass auch Produkte immer langlebiger sind?
Nein, die Diagnose lautet “Eisberg- und Kokosnussprodukte”
Die Welt der Technologie ist schnelllebig – mit neuen Entwicklungsmethoden und neuen Formen des Prototyping werden Produkte schneller denn je auf den Markt gebracht und ersetzt. Das führt schließlich zu einer Reihe von Produkten, die in den Unternehmen in Vergessenheit geraten. Wir nennen diese Produkte Eisberg- oder Kokosnuss-Produkte.
Kokosnussprodukte bringen keine großen Erträge ein (auch ein Grund, warum sie in Vergessenheit geraten oder „weg-ignoriert“ werden), allerdings sind auch die Betriebskosten nicht besonders hoch, so dass es sich nicht lohnt Zeit auf sie zu verschwenden. Sie generieren ihre (geringen) Erträge mit wenig oder keinem Aufwand. In der Welt der Kokosnuss-Produkte scheint die Sonne, wenn auch nicht sehr hell.
Eisberg-Produkte sind anders. Die Aussichten sind deutlich frostiger. Wie Kokosnuss-Produkte bringen sie wenig Umsatz und haben wenig Kunden. Was aber verborgen bleibt, sind die enormen Kosten für den Betrieb. Ob sie profitabel sind oder ein Verlustgeschäft scheint niemand so richtig zu wissen. Es scheint auch niemanden zu geben, der es herausfinden will. Es ist einfacher anzunehmen, dass die Rentabilität schon stimmen wird, und außerdem möchte niemand schlafende Hunde wecken.
Leider ist das nicht unbedingt der beste Ansatz.
Eine Fallstudie
Vor ein paar Jahren fusionierte zwei große Unternehmen der Telekommunikationsbranche. Ich wurde zu dieser Fusion als Berater hinzugezogen um die Rentabilität des gemeinsamen Produktportfolios zu durchleuchten und eine Empfehlung zur Portfolio-Optimierung und Bereinigung auszusprechen. Das Team mit dem ich arbeitete stellte eine Übersicht ca. 400+400 Produkten der beiden Unternehmen zusammen und fand dabei heraus, dass 80% des Umsatzes mit etwa 10 Produkten erzielt wurden. Die restlichen 790 Produkte brachten also nur 20% des Umsatzes ein.
Die Gesamtkosten für die 790 Produkte waren natürlich enorm und nur sehr wenige waren für sich genommen profitabel – und dann auch eher homöopathischen Mengen.
Wir identifizierten in diesem Zuge eine ganze Reihe von Problemen:
- Product Ownership (d.h. wer für welches Produkt und dessen Profitabilität zuständig ist) war oft unklar.
- Für einige Produkte waren die Vertriebsunterlagen so veraltet, dass sie vom Vertrieb nicht mehr angefasst wurden, obwohl sie eigentlich noch Teil des Portfolios waren.
- Die vertragliche Vereinbarungen mit Kunden waren häufig nicht mehr auffindbar, so dass unklar war, welche Verpflichtungen die Unternehmen eigentlich eingegangen waren, und welches Risiko eine Abkündigung oder Veränderung der Produktausrichtung mit sich bringen würde.
- Für manche Produkte war das Support-Team nicht mehr ausreichend geschult und konnte bei Anfragen nur noch sehr oberflächliche Antworten geben. Solche Anfragen oder Probleme beim Kunden eskalierten daher schnell zum Produktmanagement, und die Produktmanager verbrachten Tage damit, von unterschiedlichen Personen im gesamten Unternehmen die nötigen Informationen zusammenzusuchen.
- Bei einem Produkt kam plötzlich Panik auf, weil sich zugrunde liegenden Technologien inzwischen geändert hatten. Der geschätzte Aufwand für Anpassungen war enorm. Dies war für die geringe Anzahl der Kunden (von denen man wusste) eigentlich kaum zu rechtfertigen. Gleichzeitig wollte niemand den Reputationsverlust hinnehmen, der vorhersehbar wäre, wenn das Unternehmen ein Produkt ohne Vorwarnung abkündigen würde. Es wurde also kurzfristig entschieden, „ein letztes Mal“ Anpassungen zu machen, und so wurden Entwicklungsressourcen von der Arbeit an wichtigeren Produkten zur Behebung des dringenden Problems abgezogen.
Es gab einige halbherzige Versuche einzelne Produkte abzukündigen. Aber sie scheiterten oft daran, dass einer der Kunden, die das Produkt benutzten, für das Unternehmen sehr wichtig war und niemand ihn verärgern und die Kundenbeziehung gefährden wollte.
Obwohl beide Unternehmen profitabel waren, gab es niemanden, der die individuelle Rentabilität der Produkte analysiert hatte. Viele Kostenarten, z.B. die Supportkosten, wurden auf alle Produkte verteilt, so dass ein detailliertes Verständnis für die tatsächlichen Kosten pro Produkt nicht entstehen konnte. Und natürlich gab es auch wenig Anreiz, sich mit der Rationalisierung des Portfolios zu befassen. Es ist einfach glamouröser an neuen Projekten, neuen Produkten zu arbeiten und anstatt hinter der Bühne die Altlasten aufzuräumen.
Es waren nicht nur die Betriebskosten dieser Produkte, die unbekannt waren und das Unternehmen ausbremsten. Auch die Opportunitätskosten wurden nicht berücksichtigt. Da Ressourcen für Entwicklung, Support und Produktmanagement mit diesen Produkten verknüpft waren, waren Ressourcen für neue Dinge knapp und jedes neue Entwicklungsprojekt ging langsamer voran an das vorige.
Zu spät wurde erkannt, dass es zu viele dieser Eisberg-Produkte gab, und auch die Kosten wurden zu spät analysiert. Es dauerte schließlich viele Jahre und erforderte ein großes internes Rationalisierungsprogramm, um die Konsolidierung und den Ersatz dieser Produkte und Dienstleistungen voranzutreiben – bei enormen Kosten für die Migration von Kunden und Technologien.
Fazit
Wir sind der Meinung, dass jedes Produkt von einer/einem Produktmanager*in betreut werden sollte. Und jeder Produktmanager sollte wissen, ob seine langjährigen Produkte vielleicht Kokosnüsse oder Eisberge sind, also eine klare Vorstellung davon zu haben, ob das Produkt profitabel ist oder nicht und wie strategisch wichtig es ist. Und so manches was von weitem wie eine Kokosnuss wirkt, kann sich bei näherer Betrachtung als Eisberg herausstellen.
Viele Unternehmen gehen dies mit einem jährlichen Assessment des gesamten Produktportfolios an.
Ein solches methodisches Assessment mit Portfoliowerkzeugen und festgelegten Metriken ermöglicht es ihnen, eine langfristige Planung über die Migration von Kunden von alten zu neuen Produkten, die Abkündigung von Produkten, das Verständnis der strategischen Ausrichtung und der Produktrentabilität zu verfolgen.
Lasst euch von Eisberg-Produkten nicht euer Geschäft versenken!
Jan Harste, Gründer ProduktManageMentor
Ian Lunn, Geschäftsführer bei Product Focus