
Effektives Stakeholder Management: Vom Stolperstein zum strategischen Pluspunkt
von Thomas Moder – zügig vorankommen statt mit dem Kopf gegen die Wand
Stakeholder Management ist eine der wichtigsten, aber oft unterschätzten Disziplinen im Produktmanagement. Wer seine Stakeholder nicht aktiv einbindet, verliert schnell an Einfluss, Zeit und Motivation. Doch wie gelingt es, die richtigen Personen zum richtigen Zeitpunkt zu erreichen? Wie schafft man Vertrauen und baut stabile Beziehungen auf?
Dazu haben wir im Juni ein Webinar durchgeführt und obige Fragen fundiert beantwortet. In diesem Beitrag beleuchten wir die zentralen Erkenntnisse daraus – praxisnah, strukturiert und mit konkreten Umsetzungstipps. Viele Inspirationen, Tipps und Tricks habe ich aus dem Buch “Aligned – Stakeholder Management for Product Leaders” von Bruce McCarthy und Melissa Appel entnommen – die Ausführungen von Bruce und Melissa decken sich dabei zu 100% mit meinen 25 Jahren Erfahrung in Fach- und Führungspositionen im Produktmanagement.
Wichtige Stakeholder gibt es natürlich innerhalb und ausserhalb unseres Unternehmens (Kunden, Nutzer, Partner, …). Ich möchte in diesem Beitrag aber in erster Linie einen genaueren Blick auf unsere internen Stakeholder werfen. Viele Prinzipien und Denkweisen lassen sich aber ebenso auf den Umgang mit externen Stakeholdern übertragen.
Warum Stakeholder Management entscheidend für den Produkterfolg ist
Wichtige Stakeholder beeinflussen Entscheidungen, Ressourcen und Prioritäten. Ohne ihre Unterstützung kann ein Produktvorhaben ins Stocken geraten – selbst wenn es aus Sicht des Markts vielversprechend ist. Die gezielte Einbindung relevanter Stakeholder hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen, Mehrwert klar zu kommunizieren und letztlich Widerstände zu minimieren.
Doch Stakeholder Management ist mehr als reine Kommunikation. Es geht um Beziehungsarbeit, Machtstrukturen, Empathie und diplomatisches Geschick. Dass sich dabei nicht alle Produktmanager*innen wohl fühlen, zeigt ein Blick auf unsere kurze LinkedIn Umfrage – nur ein Viertel der Teilnehmer fühlen sich beim Thema Stakeholder Management “zu Hause”. Das überrascht vielleicht auf den ersten Blick, ist aber durchaus verständlich – gehört es doch zu einem effektiven Stakeholder Management, ab und zu die eigene Komfortzone zu verlassen.
Die vier Schlüsselelemente erfolgreichen Stakeholder Managements
Wer die Klaviatur erfolgreichen Stakeholder Managements professionell spielen will, der muß 4 Dinge beherrschen
- Organisationen verstehen, um die wichtigsten Einflußnehmer und Entscheider zu identifizieren.
- Persönlichkeitsstile und Motivation dieser wichtigen Stakeholder verstehen und adressieren.
- Beziehungen knüpfen, um möglichst immer Zugang und Zugriff auf die wichtigen Entscheider zu haben.
- Geknüpfte Beziehungen durch Vertrauen und Respekt stärken.
Diese vier Elemente bilden die wesentliche Grundlage aller Aktivitäten, Best Practices, Tipps und Tricks rund um das Thema Stakeholder Management.
Organisationen verstehen: Wer hat wirklich Einfluss?
Nicht alle Stakeholder sind gleich wichtig. Einfluss und Entscheidungsbefugnisse hängen stark von der Organisationsstruktur ab. Bruce McCarthy und Melissa Appel unterscheiden in Ihrem Buch 4 typische Organisationsformen:
- Funktionale Organisationen: Starke Linienmanager dominieren. Entscheidungen sind oft abteilungszentriert. Für uns Produktmanager*innen bedeutet das, dass Produktentscheidungen oft außerhalb des eigentlichen Produktteams getroffen werden.
- Wertstrom-orientierte Organisationen: Hier haben interdisziplinäre Produktteams hohe Entscheidungsautorität. Der Fokus der Unternehmen liegt auf Produktmetriken wie NPS, Konversion oder Nutzung. Für uns Produktmanager*innen die beste Situation. Entscheidungen werden in Team getroffen, welches das Produkt auch umsetzt.
- Matrix-Organisationen: Linien- und Produktverantwortung teilen sich hier den Einfluss. Das erzeugt Reibungen, stellt aber auch eine produktübergreifende Abstimmung und Koo0rdination sicher. Größter Nachteil ist die große Anzahl an Stakeholdern, die hier involviert sein woillen.
- Divisionale Strukturen: Werden Unternehmen zu groß, dann bilden sich autonome Einheiten mit eigener Ergebnisverantwortung. Die entscheidenden Stakeholder sitzen dann in der “eigenen” Division – die selbst wieder als Matrix, Funktion oder Wertstrom organisiert sein kann.
Ein Blick aufs Organisgramm reicht aber nicht. In jedem Unternehmen gibt es die sogenannten Power Player. Diese Schlüsselfiguren tauchen im Organigramm vielleicht nicht auf, haben aber großen Einfluss (z. B. als “CEO-Flüsterer”) auf viele Dinge, die im Unternehmen vor sich gehen. Ihre Identifikation und Einbindung kann entscheidend sein.
Tipp: Verwende Tools wie ein Stakeholder-Grid, eine Stakeholder Map oder den im Buch von Bruce und Melissa beschriebene Stakeholder Canvas, um Macht und Einfluss sichtbar zu machen.
Stakeholder Canvas aus dem Buch
“ALIGNED – Stakeholder Management for Product Leaders”
Personen verstehen: Stakeholder als Menschen wahrnehmen
Jenseits der Organisationsstruktur sind Stakeholder vor allem eines: Menschen mit Bedürfnissen, Sorgen, Zielen und Eigenheiten. Diese gilt es für uns Produktmanager*innen zu verstehen und dabei deren Perspektive einzunehmen. Ganz konkret bedeutet das, die eigene Forderung (“Ich möchte, dass mein Stakeholder…”) zurückzustellen und zunächst durch die Brille der Stakeholder zu betrachten (“Als Stakeholder möchte ich… damit…”).
Und bei dieser Art Formulierung muß es bei allen Produktmanager*innen klingeln, weil wir nichts anderes vor uns haben als das Format einer “User Story” – lediglich den User haben wir durch den Stakeholder ersetzt. Statt Product Discovery haben wir Stakeholder Discovery zu betreiben.
Neben den – recht rollenspezifischen – Motivationen haben Entscheider und Einflußnehmer aber auch alle ihren ur-eigenen Persönlichkeitsstil. Die alten Griechen haben sich bereits mit den 4 Temperamenten beschäftigt – ein aktuelleres Werk stammt vom US Ehepaar Bolton aus dem Jahr 1996 und trägt den Titel “People Styles at Work – Making Bad Relationships Good and Good Relationships Better” (hier geht’s zu einer kurzen Zusammenfassung auf Youtube) Die Boltons unterscheiden dabei 4 Persönlichkeitsstile:
- Analytisch: strukturiert, sachlich, detailorientiert
- Treibend: ergebnisfokussiert, direkt, entscheidungsstark
- Liebenswert: hilfsbereit, loyal, harmoniesuchend
- Expressiv: enthusiastisch, kreativ, spontan
Für jeden dieser Stile geben sie eine Menge Tipps in Ihrem Buch, wie man sie anpackt und was man besser bleiben lässt. In Abhängigkeit davon, welche Rolle die Person im Entscheidungsprozess einnehmen, können wir sie im Stakeholder Canvas als Driver (Verantwortliche), Approver (Entscheider), Contributor (Beitragende) oder Informed (Informierte) eintragen und vervollständigen somit unsere Stakeholder Landkarte.
Kommunikationstipp: Passe deinen Kommunikationsstil dem Typus an. Treibende wollen schnelle Ergebnisse, Analytiker Fakten, Liebenswerte Empathie und Expressive Begeisterunng.
Beziehungen aufbauen: Der unterschätzte Erfolgsfaktor
Fachliche Argumente reichen oft nicht aus. Entscheidend ist die zwischenmenschliche Ebene. Vier Ansatzpunkte sind beim Aufbau von guten Beziehungen dabei besonderas wichtig
- Bezug/Gemeinsamkeiten finden: Small Talk über Hobbys, Sport oder Familie schafft einerseits Vertrauen, dient andererseits aber immer als guter Einstieg in ein längeres Gespräch
- Respekt zeigen: Respekt bedeutet Wertschätzung für die Zeit, Meinung und das Wissen des Gegenübers. Solche Wertschätzung lässt sich wenig aufwändig durch Pünktlichkeit erweisen, mit etwas mehr Aufwand dadurch, dass man seine Kommunikation stets an den Kenntnisstand seines Gegenübers anpasst.
- Empathie leben: Aktives Zuhören und offene Fragen zu stellen, sind Voraussetzungen, wirklich am emotionalen Gemütszustands des Gegenübers teilzuhaben. Das Widerspiegeln des Gesagten in eigenen Worten demionstriert, dass ich tatsächlich zuhöre und den anderen nicht nur deswegen ausreden lasse, um anschliessend meine vorgefertigten Argumente loszuwerden.
- Verletzlichkeit zulassen: Es bedeutet, Fehler einzugestehen und bei Unsicherheit auch mal um Hilfe zu bitten. Die Demonstration der eigenen “Imperfection” kann dabei Wunder wirken.
Gerade Verletzlichkeit wirkt stark: Wer Schwäche zeigt, wirkt menschlich – und baut tiefere Bindungen auf.
Vertrauen aufbauen: Der Katalysator für Zusammenarbeit
Vertrauen ist der Kitt jeder Stakeholderbeziehung. Es basiert auf vier Pfeilern:
- Erfahrung: Sie bedeutet, die aktuellen Probleme nicht zum allerersten Mal zu sehen. Demonstriert werden kann sie durch den Bericht über Beispiele, in denen ihr bereits ähnliche Probleme gelöst habt. Sie wird auch denjenigen zugeschrieben, die Formulierungen oder Terminologien aus dem Jargon des Gegenübers nutzen und damit zeigen, dass sie sich auch in der Welt des Gegenübers zurechtfinden.
- Selbstbewusstsein: Wer nicht klar macht, dass er/sie von seinen eigenen Vorschlägen überzeugt ist, dem/der wird man schwerlich glauben. Selbtbewusstsein lässt sich gut demonstrieren, in dem über Probleme und Risiken gesprochen wird und Pläne erörtert werden, wie mit diesen Risiken umzugehen ist. Das Totschweigen von Risiken hat genau den gegenteiligen Effekt.
- Ownership: Ownership bedeutet, ganzheitliche Verantwortung zu übernehmen und im Zweifel proaktiv zu agieren. Gerade in Krisensituationen lässt sich diese Fähigkeit hervorragend nutzen.
- Zuverlässigkeit: Der erste Schritt dafür ist, die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen richtig einzuschätzen und nicht zu viel zu versprechen. Haltet Zusagen ein, managed die Erwartungen Eurer Stakeholder gewissenhaft und plant Puffer ein. Handelt im Zweifelsfall nach der Maxime “Rather underpronise and overdeliver!”
Merke: Vertrauen entsteht nicht durch Worte, sondern durch konsistentes Verhalten über Zeit.
In diesem Sinne wünsche ich Euch, dass Ihr die richtigen Stakeholder korrekt charakterisiert, mit den richtigen Mitteln anpackt und zu Helfern und Unterstützern macht. Das ist anstrengend und arbeitsintensiv, da individuell auf jede/n eingegangen werden muß.
Eines aber steht felsenfest – ES LOHNT SICH!
Wer sich näher mit dem Thema beschäftigen möchte, dem seien nochmal meine beiden Hauptquellen
ans Herz gelegt:
- Aligned – Stakeholder Management for Product Leaders, Bruce McCarthy & Melissa Appel
- People Styles at Work … And Beyond – Making Bad Relationships Good and Good Relationships Better, Robert Bolton & Dorothy Grover Bolton
Happy Stakeholder Management!